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Wann es Zeit ist, im Job etwas Neues zu wagen

Gastbeitrag bei STRIVE, 2023


Obwohl die heutige Gesellschaft vermehrt mit Burn-out zu kämpfen hat, leiden auch viele Menschen unter chronischer Unterforderung, die sich wie ein "Bore-out" anfühlt. Unsere moderne Arbeitskultur, in der Arbeit eng mit unserer Identität verknüpft ist, kann dazu führen, dass wir uns in einem ständigen Streben nach Produktivität verlieren. In diesem Gastbeitrag ermutigt Elena Mertel dazu, innezuhalten, die eigenen Prioritäten zu überdenken und sich die Frage zu stellen, womit wir wirklich unsere begrenzte Zeit verbringen möchten.




Während gefühlt das halbe Internet ausbrennt und Burn-out zum Etikett der High- Performer:innen mutiert, dürfen wir in unserer LinkedIn-Blase nicht vergessen, dass es manchen ganz anders geht: Viele Menschen brennen nicht aus, sondern bleiben konstant unter ihren Möglichkeiten.


Immer weniger zu tun, fehlende Sinnhaftigkeit in der Arbeit, diffuse Erwartungen, fehlendes Wir-Gefühl, sinnlose Meetings – das war die Mischung, die mich 2020 in die chronische Unterforderung trieb. Erst später bin ich auf das gestoßen, was meinen Gemütszustand in dieser Zeit am besten beschreibt: Bore-out.


Was sich liest wie ein Luxusproblem, fühlt sich an, als würdest du innerlich vertrocknen. Die Symptome gleichen nicht umsonst denen der Erschöpfungsdepression: Ich fühlte mich unterfordert, erschöpft, unzufrieden. Keine Energie ist das, was ich über diese Zeit sagen kann. Ich hatte das Gefühl, meine Zeit zu vergeuden, und die Frage „Warum mache ich das überhaupt?“ war eine ständige Begleiterin.


"Das Problem ist, wenn dein Leben vollgeklebt ist mit teuer bezahlten Pflastern, meinst du irgendwann, aus dem Prestigejob nicht mehr hinauszukönnen."

Always busy – warum ist Arbeit so wichtig?


Wenn der Job eng mit unserer Identität verbunden ist, stürzt uns fehlende Arbeit nicht nur in Langeweile, sondern in eine Selbstwertkrise.


Das eine Projekt mehr, sichtbar sein auf Social Media, der nächste berufliche Meilenstein – eine innere Stimme scheint uns zuzurufen: Du musst besser sein, mehr erreichen, mehr geben. Die anderen schaffen das doch auch.

Always busy zu sein, ist für viele von uns zu einem Zeichen von Erfolg geworden. Außerhalb von geplanten Meditationsslots haben wir verlernt, Dinge langsam zu tun. Löcher in die Luft zu gucken, die Gedanken schweifen zu lassen. Nichts zu tun oder noch schlimmer: einmal nicht gebraucht zu werden. Der Drang nach Produktivität ist bei vielen von uns derart eng mit dem Selbst verschmolzen, dass wir uns auflösen, wenn wir mal nicht beschäftigt sind.


Wer bist du ohne deinen Job?


Vor der Arbeit Joggen, die ersten E-Mails von zu Hause abschicken, als Erste am Schreibtisch sitzen, sonntags schon mal was vorarbeiten, um einen Vorsprung vor den anderen zu haben. So sah lange Jahre meine Arbeitsrealität aus.


Als Kind habe ich gelernt, stets pünktlich zu sein, dass von nichts auch nichts kommt und man sich den Urlaub verdient. Es hieß nicht „Kümmere dich um deine Mental Health!“, sondern „Dreck reinigt den Magen“ und „Der frühe Vogel fängt den Wurm.“

Wie viele, die sich bewusst für einen Job entscheiden, der etwas mit ihnen selbst zu tun hat, habe ich lange nicht infrage gestellt, welch hohen Stellenwert die Arbeit in meinem Leben einnimmt. Erst als die Anerkennung ausblieb und sich meine Aufgaben zunehmend sinnlos anfühlten, trat an die Stelle des gewohnten angenehmen Gefühls von getaner Arbeit die Frage: Wer bist du ohne deinen Job? Und wann hast du aufgehört, zu sein, anstatt immer nur zu werden?





Der schicke Job, der sich hohl anfühlt


Aus meiner Coachingpraxis kenne ich inzwischen viele, denen es ähnlich (er)geht: Sie wollen etwas leisten, verlieren aber letztlich die Motivation, weil sie ständig unterhalb von ihren Möglichkeiten bleiben. Sie stecken in Jobs, die schick aussehen und sich hohl anfühlen. Die Löcher werden gut gestopft mit materiellem Schnickschnack. Auto, teure Wohnung, Wellness-Wochenenden, ausufernde Weinabende. Die Leere des Jobs muss schließlich kompensiert werden. A golden cage.


Das Problem ist, wenn dein Leben vollgeklebt ist mit teuer bezahlten Pflastern, meinst du irgendwann, aus dem Prestigejob nicht mehr hinauszukönnen. Du meinst, den Status zu brauchen und verwechselst deinen hohen Lebensstandard womöglich mit Sicherheit.


Keine Krise ohne Beute, denke ich heute. Sobald du dich traust, auf die Stellen zu schauen, die wehtun, die die unter den Pflastern zum Vorschein kommen, bist du mittendrin im Erkenntnisprozess. Dann kannst du schauen, ob du ungenutzte Möglichkeiten in deinem Einflusskreis übersehen hast, aber irgendwann musst du dir die Frage aller Fragen stellen: Womit willst du wirklich die Zeit verbringen, die du hast?


"Die Wahrheit ist, dass wir oft glücklicher sind, wenn wir uns nicht nur in der Komfortzone des Gewohnten bewegen."

Vom Bullshit-Job zur Gründerin


Meinen Wendepunkt verdanke ich einem ZEIT-Artikel von 2020. Über seinen „Bullshit-Job“ schrieb darin ein junger Mann aus Stuttgart. Und über das Gefühl, seine Lebenszeit am falschen Ort zu vergeuden. Ich realisierte: Wenn du 80 Jahre alt bist, wirst du nicht voller Stolz auf deinen Jobtitel und ein solides Gehalt zurückschauen. Richtig stolz wirst du auf mutige Entscheidungen sein. Solche, bei denen du über dich selbst schmunzelst. Mal was unerwartet tust. Du wirst dich gut fühlen, wenn du in deinem Leben damit beschäftigt warst, du selbst zu werden, wichtige Dinge nicht auf später verschoben hast oder die Träume anderer Leute gelebt hast. Wenn du 80 Jahre alt bist, willst du dich ausgetobt haben, und zwar so richtig. Dabei darf es Hügel und Stolpersteine geben und ein schweres Lehrgeld-Konto. Wenn du 80 Jahre alt bist, willst du dich nicht mit einem Bullshit-Job aufgehalten haben. Du willst sagen: Ich habe gestaltet, nach vorne geschaut, ein Leben in Fülle gelebt und das von anderen voller gemacht.


Hast du dir deine Arbeit oder hat dich deine Arbeit gemacht?


Es bleibt zu sagen: Du musst viel weniger als du denkst. Und du kannst mehr schaffen als du meinst. Denn die Wahrheit ist, dass wir oft glücklicher sind, wenn wir uns nicht nur in der Komfortzone des Gewohnten bewegen.


Vorhaben wie die berufliche Neuorientierung gelingen leichter, wenn du sie zu deinem Projekt machst – und nicht zu deiner Lebensaufgabe. Es hilft, das Leben in Phasen zu begreifen, nicht über das Verpasste zu lamentieren und den Blick nach vorne zu richten. Vieles ist egal. Weil es sowieso immer weiter geht. Und manchmal gilt: Lieber überfordert als unterfordert.

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